Das Nürnberger Christkind
Denn hier auf der Empore des Gotteshauses aus dem 14. Jahrhundert erscheint Nürnbergs wichtigste Repräsentantin in der Weihnachtszeit: das Christkind. Mit einem feierlichen Prolog eröffnet es seinen Markt. „Das Christkind lädt zu seinem Markte ein, und wer da kommt, der soll willkommen sein“ – so endet er eindringlich, und dazu klingen Posaunenklänge über den dunklen Platz, ein Chor singt „Stille Nacht“, Kirchenglocken läuten. Kinder auf den Schultern ihrer Väter staunen, Handys und Kameras sind gezückt. Nach einer halben Stunde erstrahlen die frisch eröffneten Buden dann im Lichterglanz, und das Treiben auf dem Marktplatz beginnt offiziell.
Wahl des Nürnberger Christkindes
Der Nürnberger Christkindlesmarkt wird bereits seit über 65 Jahren vom Nürnberger Christkind eröffnet. Im Jahre 1948 fand der erste Markt nach dem Krieg in der zerstörten Altstadt statt. Verkörpert wurde die Engelsgestalt - blondgelockt, bekrönt und im goldenen Gewand - zunächst von der Nürnberger Schauspielerin Sophie Keeser, die dreizehn Jahre lang - bis 1961 - die Rolle des Nürnberger Christkinds übernahm. Auch das nächste Christkind, Irene Brunner, war Schauspielerin in Nürnberg und wirkte bis 1969. Seitdem wird das Christkind im zweijährigen Turnus in einem mehrstufigen Verfahren gewählt. Es muss nicht in Nürnberg geboren sein, sollte aber seit längerem in der Stadt leben, 16 bis 19 Jahre alt und größer als 160 Zentimeter sein. Und absolut schwindelfrei, denn die Brüstung des Kirchen-Altans ist nicht allzu hoch. Aus allen Bewerberinnen wählt eine Jury zwölf Kandidatinnen aus. Diese zwölf Mädchen erscheinen in den Nürnberger Tageszeitungen, deren Leser ihre sechs Favoritinnen küren. Auch online kann über die Kandidatinnen abgestimmt werden. Die Endauswahl trifft dann letztlich eine Jury aus Pressevertretern, dem städtischen Presseamt, dem Marktamt und der Tourismus-Zentrale Nürnberg. Die Jury lernt alle sechs Bewerberinnen persönlich kennen, bevor die Entscheidung, wer das neue Nürnberger Christkind werden darf, getroffen wird.
Hohes Ehrenamt
Denn dieses hohe Ehrenamt erfordert besonders viel Persönlichkeit, Engagement und Geduld. Hat das Christkind in seinen zwei Amtsjahren doch alle Hände voll zu tun und steht unaufhörlich im Rampenlicht. Weit über 100 Termine stehen im Dezember an. Dazu zählen Interviews, Fernsehauftritte und Stippvisiten auf Weihnachtsmärkten in anderen Städten. Genauso besucht das geflügelte Wesen Altenheime, Kindergärten, Behinderteneinrichtungen und Krankenhäuser. Am Heiligen Abend beschert es junge Patienten in Nürnberger Kinderkliniken.
Aufgaben des Christkindes
Natürlich macht das Christkind auch einen Rundgang über seinen eigenen Markt – viermal die Woche in vollem Schmuck– und verteilt an kleine Gäste Geschenke. Die, so sagt man, kauft es in einer ruhigen Stunde selbst auf dem Christkindlesmarkt ein. Wo auch immer die Himmelsbotin vorbeikommt, tröstende oder unterhaltende Worte spricht, Geschichten vorliest, Hände drückt, da sorgt sie für glänzende Augen und ehrfürchtige Bewunderung.
Die Symbolfigur des Marktes zu sein, bereitet den jungen Mädchen riesiges Vergnügen: Oft äußern sie den Wunsch, noch eine Amtszeit anzuhängen, aber er wird ihnen nicht gewährt. Es ist bis heute außerdem ein eisernes Prinzip geblieben, das Nürnberger Christkind nicht zu vermarkten oder als „Event“ zu verkaufen. Genauso wenig, wie seine Kür einer Miss-Wahl gleichkommen soll. Seine Auftritte sind stets seriös, dienen sozialen und wohltätigen Zwecken und sollen freundschaftliche Verbindungen zur Bevölkerung anderer Städte knüpfen.
Den festlichen Prolog, den das goldige Lockengeschöpf jedes Jahr zur Eröffnung des Christkindlesmarktes rezitiert, schrieb 1948 Friedrich Bröger, der Chefdramaturg des Theaters und Sohn des Nürnberger Arbeiterdichters Karl Bröger. Der Text wurde bis heute nur leicht umgedichtet:
Ihr Herrn und Fraun, die ihr einst Kinder wart,
Ihr Kleinen, zu Beginn der Lebensfahrt,
Ein jeder, der sich heute freut und morgen wieder plagt:
Hört alle zu, was euch das Christkind sagt!
In jedem Jahr, vier Wochen vor der Zeit,
Da man den Christbaum schmückt und sich aufs Feiern freut,
Ersteht auf diesem Platz, der Ahn hat’s schon gekannt,
Was ihr hier seht, Christkindlesmarkt genannt.
Dies Städtlein in der Stadt, aus Holz und Tuch gemacht,
So flüchtig wie es scheint, in seiner kurzen Pracht,
Ist doch von Ewigkeit. Mein Markt bleibt immer jung,
Solang es Nürnberg gibt und die Erinnerung.
Denn alt und jung zugleich ist Nürnbergs Angesicht,
Das viele Züge trägt. Ihr zählt sie alle nicht!
Da ist der edle Platz. Doch ihm sind zugesellt
Hochhäuser dieses Tags, Fabriken dieser Welt,
Die neue Stadt im Grün. Und doch bleibt’s alle Zeit,
Ihr Herrn und Fraun, das Nürnberg, das ihr seid.
Am Saum des Jahres naht nun bald der Tag,
An dem man selbst sich wünschen und andern schenken mag.
Und leuchtet der Markt im Licht weit und breit,
Schmuck, Kugeln und selige Weihnachtszeit,
Dann vergesst nicht, ihr Herrn und Fraun, und bedenkt:
Wer alles schon hat, der braucht nichts geschenkt.
Die Kinder der Welt und die armen Leut,
Die wissen am Besten, was Schenken bedeut’t.
Ihr Herrn und Fraun, die ihr einst Kinder wart,
Seid es heut‘ wieder, freut euch in ihrer Art.
Das Christkind lädt zu seinem Markte ein,
Und wer da kommt, der soll willkommen sein.